In 24h zur Videokonferenzlösung

Agiler Sprint: In 24 Stunden zum Prototypen, in 4 Wochen zum gut funktionierenden Dienst, in 6 Wochen eine stabile, erweiterbare Videokonferenzlösung.

Text: Jens-Christian Fischer, publiziert am 12.05.2020

Alles begann anfangs März mit einem Email von Renato Furter, Team Leader Collaborations, SWITCH. An den Hochschulen wurden wegen des Coronavirus alle Präsenzveranstaltungen bis Ende Frühlingssemester eingestellt, von jetzt an sollte jede Vorlesung, jedes Seminar und jedes Tutorial nur noch virtuell stattfinden.

Mit dem plötzlichen Sturm auf die Videokonferenzlösungen hatte niemand gerechnet, die bestehenden SWITCH Angebote waren bald überlastet. Vom französischen Forschungsnetzwerk RENATER wussten wir, dass sie ihren Hochschulen eine Open Source Videokonferenzlösung basierend auf Jitsi Meet anboten. Renato fragte mich also an einem Donnerstagmittag per Mail, ob wir eine solche skalierbare Videokonferenzlösung mit Jitsi auf SWITCHengines bauen könnten.

Ein paar Stunden später schickte ich ihm einen ersten Testlink. In den darauffolgenden 24 Stunden habe ich nicht viel geschlafen: einen Tag später lief open.switch.ch/meet. Renato war begeistert, bereits 5 Hochschulen hatten bis Freitagnachmittag ihr Interesse an einem eigenen gesicherten Server mit AAI-Integration bekundet. Am Montag hatten diese Institutionen dank einem kleinen Team einen funktionierenden Dienst, wenn auch in den Kinderschuhen.

Als nächstes haben wir SWITCH Online Meetings um die Funktionen SWITCH conference viewer, Streaming sowie Recording erweitert. In 6 Wochen haben wir eine erweiterbare Videokonferenzlösung auf die Beine gestellt, die viel gebraucht wird.

Über 20 Institutionen haben inzwischen einen eigenen Server aufsetzen lassen, mit edu-ID gesichert. SWITCH Online Meetings auf open.meet.switch.ch kann aber auch kostenfrei und ohne Konto genutzt werden.

Von Anfang an hat es mich motiviert, dass wir als kleines Team und als Stiftung SWITCH auch auf diesem Weg einen kleinen Beitrag in der Krise leisten zu können. Und ja, es macht mich stolz im 10vor10 auf srf zu sehen, dass eine Lehrerin kostenfrei unseren Dienst nutzt, um auch während Krisenzeiten für ihre Schülerinnen und Schüler da zu sein. Genauso wie es mich freut in der Nutzerstatistik zufällig über einen Link namens /SpargelnMitOma zu stolpern: die Daten verraten mir nur, dass hier eine dreistündige Videokonferenz zwischen Bern, Berlin und der deutschen Pfalz stattgefunden hat.

Herausforderung Skalierbarkeit

Auch in der Jitsi Open Source Community konnten wir einen Beitrag leisten mit unserem technisch aufwendigen Projekt. Die Deployment Scripts haben wir auf GitHub veröffentlicht und im Jitsi-Forum und den Wiki-Beiträgen dokumentiert. Daraufhin habe ich viele internationale Anfragen aus den Schul- und Hochschulcommunities bekommen. In den letzten Wochen konnte ich Kollegen in Hochschulen und Schulen aus Deutschland, Thailand, Kanada und vielen anderen Orten helfen.

Technisch war die Skalierbarkeit die grösste Herausforderung, die Last der vielen Videokonferenzen auf mehrere sogenannte Videobridges im Hintergrund zu verteilen. Dazu haben wir einen Pool von 32 Servern auf SWITCHengines gebaut, die sich die Videobridges teilen. So können die Front-End-Server (von open.meet.switch.ch oder den einzelnen Hochschulen) auf eine gemeinsame Basis von Videoservern zugreifen, damit die Videokonferenzen stabiler laufen können.

Auf die Voraussetzungen kommt es an

Es ist nicht das erste Projekt, das ich in meiner über 25-jährigen Laufbahn als Software-Entwickler mit einem kleinen interdisziplinären Team innert weniger Tagen realisiert habe, aber vermutlich hat dieser Sprint den grössten Impact. Erfolg oder Scheitern sind nicht zuletzt von den Voraussetzungen abhängig.

Wir konnten auf bestehende, flexible Infrastruktur zurückgreifen: Ohne SWITCHengines hätten wir SWITCH Online Meetings so nicht umsetzen können. Mindestens genauso wichtig war, dass wir die richtigen Leute im Team hatten, die zu jeder Tages- und Nachtzeit vollen Einsatz geleistet haben. Geholfen hat sicher auch die Krise an sich, die Dringlichkeit der Situation. Ein weiterer Faktor war, dass unsere Führung grünes Licht gegeben hat. So konnten wir sehr schnell und agil auf den neuen virtuellen Corona-Alltag unserer Community reagieren.

Über den Autor
Jens-Christian   Fischer

Jens-Christian Fischer

Jens-Christian Fischer arbeitet seit 2013 bei SWITCH - erst als Cloud-Engineer, jetzt als Teamleiter “Managed Applications and Services”. Er hat langjährige Erfahrung mit agilen Projektmethoden sowohl in Software- als auch in Service-Entwicklung.

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